Münster (Ökotopia), 2012, kt., 84 S.
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Solche „Zwangsadoptionen“ waren keine Seltenheit, wie die Bauern aus der Umgebung wussten. Kein Wunder, wenn ein Diktator wie Pinochet seine schützende Hand über die Monstrosität hielt. An „Tagen der offenen Tür“ gaben sich hochrangige Geheimdienstleute regelmäßig die Ehre. Zu solchen Gelegenheiten arbeitete die PR-Abteilung der Colonia auf Hochtouren, alles war herausgeputzt und trug ein unschuldig weltoffenes Gesicht. Efraín, der im Sommer 1975 zur Gruppe der „Keile“, der 6–15-jährigen gehörte, durfte mit Seppelhose und Tirolerhut paradieren.
Man fühlt sich in eine furchtbare, ungute Zeit versetzt. Wir erleben Innenansichten eines Horrors aus Deutschtümelei, Zucht, Ordnung -- und Unzucht! Stellte sich dem kleinen Efraín das neue Heim zunächst als großer Abenteuerspielplatz dar, so lernte er bald die schäumende Reaktion auf winzigste Vergehen kennen. Erinnerungen kommen hoch an die Bäckertanten Irmchen, Elisabeth und Ruth, die als prügelnde Furien auftraten. Bilder der täglichen Kontrollgänge Schäfers durch sein Reich tauchen in Efraín auf. Noch wusste er nicht, welche Aufgabe den jungen Männern, „Sprinter“ genannt, dabei zukam. Bald sollte die sexuellen Vorlieben des Sektenführers am eigenen Leibe verspüren.
Am 1. November 2002 sitzt ein verunsicherter junger Mann im Bus nach Santiago de Chile. 35 Jahre Gefangenschaft haben ihn der normalen Welt entfremdet. Noch kann er es nicht glauben, fühlt sich verfolgt. Hoffen wir, dass Efraín Vedders detaillierte Kenntnisse dem Spuk, der auch nach Schäfers Festnahme noch weiterwirkt, endgültig den Garaus machen. –Ravi Unger